Berührung, Bedeutung: Gespräche zur Poetik der Architektur



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    1. Aufruf:

Über Architektur wie ein Gedicht denken – oder: Die Architektur als Gedicht

 

Poetische Architektur. Was ist das? Diese Frage stellt den Ausgangspunkt für die geplanten „Gespräche zur Poetik der Architektur“ dar. Der Dichter ist dabei besonders gefragt, weil er das Poetische des Lebens in besondere Worte fasst, Worte, die dem Architekten vielleicht helfen könnten, mit diesem Poetischen ein Haus zu bauen. Die „Differenz“ zum Unachtsamen, die der Dichter kennt, macht ihn zum guten Gesprächspartner für Architekten, die ja zumeist schrecklich viel anderes zu tun haben, als zu „dichten“.

Poesie ist gebundene Sprache, konstruierte Leichtigkeit; aber auch Schwere. Das Konstruierte ist da – man merkt es nur nicht. Dies aber bedeutet eine „Differenz“: sie verweist aufs Wesentliche. Gedichte schützen, sind das imaginäre Dach über den Leseköpfen. Poesie liegt sogar in der zähen Prosa, im ganz alltäglichen Gespräch. Denn Poesie ist erst später Form, zuvor aber Idee. So liegt womöglich im Wohnen Poesie; im Gehen durch die Straßen; im Liegen auf der Wiese … Poesie greift zum ganz Einfachen, um viel zu berühren: den Menschen, die Gemeinschaft und die Liebe, die Natur und die Bedeutung etcetera. Aber so vieles gibt es da gar nicht, das man zusätzlich anführen könnte: Man kann sich beim Wesentlichen nicht verlaufen. All das hat freilich auch damit zu tun, wie wir bauen.

Wenn der Dichter spricht und er nicht einfach verführen will, dann betrifft, was er sagt, uns alle. Architektur betrifft uns alle, doch nicht in den Formen, in denen sie auf uns zukommt, heute, als das Abgezweckte, sondern in der Art und Weise, in der sie, wie Poesie, Verbindung schaffen könnte.

Auf die Liebe bauen, sagt man manchmal – welche Rolle spielt die Liebe in der Dichtung! Ein bisschen abwegiger: auf die Morgenröte bauen, auf das Zusammensein. All das kommt in Architektur vor. Architektur sollte etwas dazu zu sagen, weil sie eine ganz eigene Sprache sprechen könnte, nicht nur in der Sprache der Dichter vorkommt, sondern weil man sich wünschen möchte, sie würde wie Dichtung mit der ihr eigenen Sprache umgehen. Mag sein, Architektur fügt nur den „Rahmen“ – aber wofür?

Wenn der Architekt ein Dichter wäre, dann müsste er sich mit diesem Wesentlichen auseinander setzen. Zum Beispiel damit, wo ich hinsehe, wenn ich aus dem Fenster sehe. Genauer: wo ich hinsehen will, wenn ich das tue. Er muß wissen, was ein Grundriss ist. Aber das ist nur ein Mittel. Mittel sind auch Worte und sie müssen gebunden werden. Am besten zu Versen. Wären es sonst Zeilen, die wir akzeptieren könnten? Wir akzeptieren sie, aber sind wir damit zufrieden?

Vielleicht können wir lernen, vom Gespräch mit den Dichtern, wie wir Wünsche und Hoffnung zu Häusern verbinden und dabei Poesie erschaffen? Welche architektonische Sprache sollen wir also eigentlich sprechen, wir Architekten, da wir sie so sehr wählen können? Was aber bitte schön ist das überhaupt, Poesie – „architektonische Poesie“? Um über Architektur wie über ein Gedicht zu denken, dafür müsste die architektonische Sprache verwandelt sein oder verwandelnd wirken. Die architektonischen „Worte“ müssen gewählt sein, der Rhythmus spezifisch: eben die Wahl der Sprache entschieden. Was ist Architektur? Darüber lässt sich vielleicht erst sprechen, wenn sie auftaucht aus dem Unpoetischen, nicht mehr Kostenfaktor, Lifestylefaktor, Umweltbeslastung, stumme Häufung in der Agglomeration, Wucherung etcetera ist (hier hingegen könnte man vieles auflisten).

Architektur ist zu oft in die harte Sprache der Verhandler und Verwalter gerutscht, dabei war sie ja eigentlich immer Poesie – das ist nichts Neues. Darüber sollte man eben endlich wieder zu sprechen beginnen, als Architekt heute.
Oder als Dichter. Wir fragen die Dichter: Was ist die Poesie der Architektur?

 

2. Position:

Natur und Architektur. Erste Gedanken zur Poesie des Bauens

 

Es gibt diese kurze Beobachtung von Peter Handke in seinen Reiseaufzeichnungen „Gestern unterwegs“, in der er folgendes vermerkt: „Wenn die Durcheinander-Stimmen in mir verstummen und nur noch das Licht spricht, das Abglanz-Licht vom Erdboden herauf, die Erdfarbe auch des Klosters von Ripoll und die Erdfarbe der Terrassenhänge …“ – der an anderer Stelle der Aufzeichnungen folgender Satz vorausging: „Glück des Poetischen, poetischen Augenblicks: das Lebensproblem zeigt sich mir als Gestalt.“(1)

In diesen Sätzen kommt ein ‚Etwas‘ zur Sprache, dessen nachfühlbarer Gehalt von Wahrheit sich daraus übersetzen könnte, daß Handke in seinen Beobachtungen den Blick vom allein Menschengemachten weitet auf das vom Menschen unabhängig und jenseits seines Zeithorizontes Existierende: Natur.
Denn ist nicht der äußerste Satz, den wir in der Moderne von der Wahrheit denken können jener, daß Wahrheit Wirklichkeit ist? Und zwar nicht jene bewegliche Wirklichkeit unserer eigenen, menschlichen Geschichte, sondern die von uns nicht zu bewegende, geschöpfte Wirklichkeit eben der Natur.

Dabei erscheint der hier verwendete Wahrheitsbegriff erklärungsbedürftig. Ist mit ihm doch nicht eine Vorstellung von Wahrheit gemeint, welche das naturwissenschaftlich-rationale Denken prägt, das eine Welt der Tatsachen beschreibt. Gerade ein von diesem Denken verschiedener Wahrheitsbegriff soll hier angesprochen sein, eine solcher, der jenseits der reinen Tatsachenwelt liegt und der eine Welt der Ideen beschreibt. Eine Welt der Ideen, welche umfasst, was mit dem Begriff Sinn zu bezeichnen wäre: Eine uns allen zugängige Vorstellung, welche von Kant in Form des menschlichen Fragens nach Erkenntnis (Was kann ich wissen?), Moralität (Was soll ich tun?) und Glauben (Was darf ich hoffen?) beschrieben wurde.

Was aber hat das alles mit der heutigen Welt des Bauens, mit gegenwärtiger Architektur zu tun?

Man muß wohl sagen: wenig. Wenn nicht gar nichts.
Die Entfernung der hier angesprochenen Dinge von der gegenwärtigen Berufswelt des Architekten ließe sich bereits an der erwartbaren Ablehnung messen, welche in dieser Berufswelt allein der Begriff einer ideelen Wahrheit erführe. Was nur paradox erscheint, arbeiten doch nicht nur die Architekten in zunehmenden Maße in einem gesellschaftlichen Umfeld, in welchem, entgegen den Maximen der Aufklärung, Wahrheiten durch behauptete ökonomische Zwänge definiert werden. Und zwar solche Wahrheiten, die längst das Ökonomische selbst überschreiten und in das Ideelle reichen, indem sie vor allem moralische Kategorien berühren, bzw. diese verletzen. Als Beispiele seien hier nur die beiden Großkrisen unserer Gegenwart genannt, die Finanzkrise und deren soziale Folgen, sowie die Klimakrise und deren globale, Generationen übergreifenden Folgen. Je zweifelhafter aber die Legitimität dieser institutionell durchgesetzten Scheinwahrheiten wird und je sturer ihnen ohne größere Widerworte gefolgt wird, desto mehr scheint im Architekturdiskurs zu gelten, daß über tatsächlich ideelle Wahrheiten, Sinnwahrheiten also, im Bauen nicht nur nicht gesprochen werden kann, sondern dieses selbst ganz und gar sinnlos erscheint.

Stellt aber diese Behauptung nicht einen Trugschluß dar?
Würde es doch bedeuten, daß ein Teil unserer aller Existenz, den wir – im Abgrenzung zum Physischen – historisch gewohnt sind das Geistige zu nennen, im Bauen der Gegenwart nicht mehr vorkommen soll. Jener Teil unserer Existenz also, welcher es eben trotz aller Abgeklärtheit nicht lassen kann, nach dem zu fragen, was jenseits der physisch-körperlichen Bedürfnisse das Leben sei. Jener Anteil in uns, welcher sich unablässlich wundern kann über das Wunder, welches das eigene und anderer Leben in dieser Welt darstellt. Oder, mit Leibniz gesagt, der erstaunt angesichts der Frage, warum überhaupt etwas ist „und nicht nichts“. Dieses alles, die Suche und Reflexion also über Sinn selbst, über mögliche Erkenntnis, notwendige Moralität und hoffenden Glauben, dieses alles soll in der Disziplin, die dem Leben der Menschen Räume entwirft, keinen Raum finden?

Daran glauben wir nicht.
Daß die „Durcheinander-Stimmen“ in uns dauerhaft einen Baugrund schaffen sollen, daß die offen zur Schau gestellte Zerstörung der normativ-kulturellen, der ideellen Grundlagen also unserer Gesellschaft zu Bau-Kultur führen kann, all das erscheint uns, je nach Blickperspektive, als entweder nur naive oder eben böswillige Auslegung des Kerns unserer Disziplin der Architektur.
Wir wollen versuchen, eine andere Anschauung zu erhalten: Die erste Prämisse, die sich aus dem bisher gesagten bereits erschließen mag, ist dabei jene, den Menschen in seiner ganzen und nicht nur geteilten Existenz als Bewohner von Architektur zu verstehen. Als jenen, der nach Sinn sucht und fragt und diesem Raum geben will in seinem Leben.

Dafür, für dieses Suchen und Fragen, stehen stellvertretend Handkes Sätze, die aus unserer Sicht eben mit der Architektur etwas zu tun haben sollen. Ihre beschreibende Wahrheit, ihr den Dingen und der Wirklichkeit abgehörter Sinn, Momente des „Glück des Poetischen, poetischen Augenblicks“ – vielleicht ließe sich aus dieser poetischen Reflexion ein Grund für das Bauen in der Gegenwart finden. Ein Bauen, welches nicht die Frage in den Mittelpunkt stellt, wie ein Entwurf des Architekten durch Marketing und Theorieornamentik bedeutsam werden mag. Sondern vielmehr ein Bauen, welches danach fragt, was so bedeutsam für das Leben des Einzelnen oder auch der Gesellschaft sein mag, daß es nach einem architektonischen Werk erst riefe.
Ein Bauen, welches also nach Wahrheit, nach Sinn fragte, nach der Gestalt des „Lebensproblemes“, inwiefern dieses im Gebauten Raum finden kann. Ein Bauen, welchem zudem eben die Erfahrung des poetischen Momentes als jener bewußt wäre, in dem dieser Sinn für Momente – sprachlos – transparent werden mag.

Ohne zu wissen, welche konkrete Form ein solches Bauen haben könnte, stünde es doch sicher im größtmöglichen Gegensatz zu all den wohldesignten technischen Architekturapparaten, deren unablässige Litanei eigener Bedeutsamkeit jene stillen wie bedeutsamen Zeichen zu übertönen droht, die für Momente aus dem Geschöpften in unser Leben hereinzuscheinen vermögen. Zeichen von Sinn, denen eine vorgestellte poetisch gedachte Architektur zuhören können sollte und deren Entfaltung im poetischen Moment in die Konstruktion des architektonischen Werks zu übersetzen weiß.
Sie, eine poetisch gedachte Architektur – vielleicht könnte sie sich von der falschen Vorstellung lösen, daß das architektonische Werk selbst das Bedeutsame, selbst Sinn also darstellen soll. Womit sich dieses Architekturverständnis der Idee öffnete, die immer die Kunst des Bauens begleitete: Das das architektonische Werk durch seinen räumlichen Charakter von sich wegweisend darauf zeigt, welches allein Sinn zeigen kann, Natur als Wirklichkeit. Oder, wie Adorno sagt, dieses Werk zum „stummen Hinweis auf das, was schön sei“ werde.

Die Dichtung aber, die Poetik, um zum Anfang zurückzukehren, ist ihr dieser Charakter nicht genuin eingeschrieben, diese Fähigkeit den bedeutsamen Zeichen zuzuhören, statt nur laut von sich zu sprechen?

Deshalb erneut: Wir fragen die Dichter: Was ist die Poesie der Architektur?


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Potsdam und Zürich
Albert Kirchengast, Jörn Köppler

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(1)Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 – Juli 1990. Salzburg: Jung und Jung, 2005, S.197.